Textauszug aus

Jonathan Goldman
»KLANGHEILUNG. DIE SCHÖPFERKRAFT DES OBERTONGESANGS«


(mit Anleitungs-CD für Obertongesang)

DAS TÖNEN

Mit »Tönen« wird die Verwendung der Stimme als Mittel zur Heilung bezeichnet. Der Begriff wurde erstmals von Laurel Elizabeth Keyes in ihrem Buch Toning, the Creative Power of the Voice benutzt, das inzwischen zu einem Klassiker des Heilens durch Klang geworden ist. Obwohl das Tönen zweifellos schon eingesetzt wird, seit der erste Höhlenmensch sich den Zeh anstieß und einen Ton von sich gab, um den Schmerz zu lindern, hat Frau Keyes mit diesem Begriff Anfang der Sechzigerjahre zum ersten Mal die Verwendung vokaler Klänge zu Therapiezwecken beschrieben. In ihrem Buch sagt sie über das Tönen: »Das Tönen ist eine uralte Heilmethode … Dahinter steckt einfach die Idee, die harmonischen Strukturen eines Menschen wiederherzustellen.«
Seit Frau Keyes diesen Begriff in unsere Kultur einführte, ist die Verwendung der menschlichen Stimme zu Heilzwecken weiten Kreisen bekannt geworden und in mehreren Büchern dargestellt worden.
Laeh Maggie Garfield schreibt in Sound Medicine: »Tönen ist eine Heilmethode, die sich der Vokalklänge bedient, um in allen Molekülen und Zellen des Körpers die Schwingung zu verändern.«
Don G. Campbell kommentiert in Der Seele Klang: »Ein Ton ist einfach ein hörbarer Klang, der so lange anhält, dass er identifiziert werden kann. ›Tönen‹ ist die bewusste Verlängerung eines Klangs mit Hilfe von Atem und Stimme.«
John Beaulieu meint in Heilen mit Musik und Klang: »Beim Tönen werden mit der Stimme Klänge erzeugt, um das Gleichgewicht herzustellen … Es sind expressive Klänge, die keine bestimmte Bedeutung haben.«
Randall McClellan beschreibt in The Healing Forces of Music das Tönen als »die anhaltende Vokalisierung einzelner Tonhöhen, um bestimmte Körperbereiche, auf die die Stimme gerichtet ist, zum Mitschwingen anzuregen.«
Steven Halpern erklärt in Tuning the Human Instrument: »Das Tönen setzt den natürlichen Energiefluss des Körpers frei.«
Für mich ist Tönen einfach eine Verwendung der Stimme, um Klänge hervorzubringen, die erleichtern und entspannen oder den physischen und ätherischen Körper in Schwingung versetzen sollen. Es ist Klang ohne Worte, der sich vorwiegend auf Vokale stützt, obwohl auch Konsonanten verwendet werden können, solange die entstehenden Silben keine verständliche Bedeutung haben. Seufzen, Jammern und Summen können ebenfalls als Form des Tönens betrachtet werden.
Tönen ist kein Chanten und auch kein rezitierender Gesang, wie wir ihn normalerweise verstehen, obwohl es so klingen kann. Beim Chanten werden Worte benutzt – etwa liturgische Texte oder Anrufungen zu einem bestimmten Zweck. Auch Mantras mit vorbestimmten Klängen sind eine Form des Chantens, wie Om Na Ma Shiva Ya oder Om Mani Padme Hum, obwohl die Verlängerung einzelner Silben wie Om oder Ra als eine Form des Tönens betrachtet werden kann. Aber sobald Worte mit Bedeutung benutzt und rezitierend wiederholt werden, handelt es sich um Chanten.

TÖNEN UND HEILEN

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum Tönen vielleicht die effektivste Methode ist, wenn wir Klang als Mittel des Heilens verwenden wollen. Erstens können wir durch das Tönen lernen, unsere Stimme so einzusetzen, dass sie verschiedene Bereiche unseres Körpers zum Schwingen und dadurch ins Gleichgewicht bringt. Das beruht auf dem Prinzip der Resonanz. Alle Organe, Knochen und Gewebe im Körper haben eine Frequenz, in der sie schwingen, wenn wir gesund sind. Werden wir krank, ändern sich die Schwingungen in diesem Körperbereich. Durch die Erzeugung von Tönen, deren Resonanzfrequenz der des gesunden Organs entspricht, können wir die Schwingungsfrequenz des erkrankten Körperteils in den Normalzustand zurückkehren lassen.
Einige Wissenschaftler, darunter Dr. Peter Guy Manners, arbeiten genau aus diesem Grund mit bestimmten Frequenzen, denen der Körper durch Instrumente ausgesetzt wird. Anscheinend können wir aber auch mit unserer Stimme die richtigen Schwingungen in unausgeglichene Körperbereiche schicken. Besonders interessant wird die Verwendung der eigenen Stimme dadurch, dass die Resonanzfrequenz eines Organs bei jedem ein wenig anders ist. Wenn ein Instrument mit einer bestimmten Frequenz etwa die Leber zum Mitschwingen anregen kann, bleibt diese Frequenz doch immer gleich und wird bei jeder Leber angewandt. Mit unserer Stimme können wir sehr viel individueller vorgehen.
Zweitens habe ich auch im Verlaufe dieses Buches immer wieder betont, wie wichtig die Intention ist. »Intention« ist die Energie hinter dem erzeugten Ton. Sie ist das Bewusstsein, das wir haben, wenn wir einen Ton hervorbringen. Obwohl Intention etwas sehr Ätherisches zu sein scheint und sicher schwer in Zahlen auszudrücken ist, zweifle ich nicht daran, dass sie stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken wird, wenn wir erst mehr über die Heil- und Transformationskraft des Klangs erfahren.
Die menschliche Stimme kann die Energie der Intention besser fokussieren und aussenden als jedes andere Instrument. Manche wissenschaftlichen Geräte sind vielleicht darauf justiert, spezifische Organfrequenzen zu eben diesem Organ zu schicken. Aber derjenige, der das entsprechende Gerät bedient, kann dabei leicht seinen Tagträumen nachhängen oder seine Gedanken zum letzten Strandurlaub abschweifen lassen. Wenn wir unsere Stimme benutzen, konzentrieren wir uns sofort auf den gegenwärtigen Augenblick. Wir kommen ins Jetzt, auf das sich auch unsere Intention ausrichtet.
Denken Sie zur Verdeutlichung einmal an die Fähigkeit eines Sängers, uns zu beeinflussen. Wir können einem Sänger mit außergewöhnlich guter Stimme (einer Stimme, deren Töne die richtigen Frequenzen haben) zuhören und uns doch tödlich langweilen. Wir hören diese erstklassige Stimme, aber etwas fehlt. Der Klang berührt uns nicht. Oder wir können einem Sänger zuhören, dessen Stimme rau ist und der von den Kritikern verrissen wird, und doch sind wir von seinen Klängen zu Tränen gerührt.
Für die unterschiedliche Fähigkeit dieser beiden Sänger, uns betroffen zu machen, sind sicher nicht die von ihnen ausgesandten Frequenzen ausschlaggebend. Sie muss mit der Intention zusammenhängen, die sie bei der Erzeugung ihrer Töne haben. Wenn wir die therapeutischen Auswirkungen des Klangs eingehender untersuchen, werden wir feststellen, dass die Intention genauso wichtig, wenn nicht gar wichtiger ist als der real erzeugte Ton.
Wo entsteht Intention? Sie entsteht in unserem Kopf und in unserem Herzen, bevor wir den Ton aussenden. Es kann sich um ein Bild handeln oder um eine Visualisierung, auf die wir uns konzentrieren und die wir dem Ton bei seiner Entstehung mitgeben. Wann entsteht Intention? Sie entsteht im Allgemeinen während der Einatmung, vor dem Loslassen des Klangs. Am wirkungsvollsten scheint der Zeitpunkt des Innehaltens zu sein, wenn der Atem sich bereits in unserer Lunge befindet und auf seine Freisetzung wartet.

DIE ATMUNG

Für viele ist das Innehalten zwischen Ein- und Ausatmung der Zeitpunkt im Atemzyklus, an dem der menschliche Körper in Resonanz mit sich selbst steht. Der Wissenschaftler Itzhak Bentov etwa glaubt, dass der Körper in dieser Zeit eine Welle von ungefähr 7,8 Zyklen pro Sekunde erzeugt. Das soll die Resonanzfrequenz der Erde sein. Wenn wir den Atem anhalten, befinden wir uns also, wenn auch nur kurz, in Resonanz mit der Erde.
Atmen Sie doch einmal ein, halten den Atem an und lassen ihn dann los. Spüren Sie das Innehalten? Der Atem ist der Schlüssel zu allen Tönen, die wir mit unserer Stimme hervorbringen. Ohne unseren Atem gibt es keinen Klang. Der Atem ist die Essenz des Lebens, denn ohne unseren Atem gäbe es auch kein Leben. In vielen religiösen Traditionen gilt die dem Atem innewohnende Lebensenergie deshalb als heilig. Die Hindus bezeichnen diese Energie als prana, im Orient wird sie chi oder ki genannt, und das hebräische Wort für Atem ist ruach, was im Hebräischen gleichzeitig »Geist« bedeutet.
Die Wissenschaft vom Atem ist ein Thema, das ein eigenes Buch erfordern würde, und es wurden auch schon viele darüber geschrieben. Es wurde schon viel über die richtige Art des Atmens nachgedacht. Manche glauben, man sollte auf bestimmte Weise durch die Nase atmen. Andere meinen, richtiges Atmen könne nur durch den Mund erfolgen. Wir schlagen vor, dass Sie das tun, was für Sie angenehm ist. Wenn Sie mit dem Tönen arbeiten, sollten Sie sich jedoch besonders am Anfang Ihrer Position bewusst sein und die Wirbelsäule möglichst gerade halten. Die dem Atem innewohnende Energie scheint dann nämlich am besten mit den anderen Systemen des physischen und ätherischen Körpers zusammenzuarbeiten. Wenn Sie die Wirbelsäule gerade halten, fällt es Ihnen auch leichter, tief zu atmen.
Es herrscht zwar Uneinigkeit darüber, ob besser durch die Nase oder den Mund eingeatmet werden sollte, besonders wenn es um Klangarbeit geht, aber man scheint sich im Allgemeinen einig zu sein, dass der Atem bis zum Zwerchfell reichen sollte. Das Zwerchfell liegt unterhalb der Lunge, über dem Magen. Mir schien diese Art des Atmens immer sehr natürlich zu sein, aber ich musste überrascht feststellen, dass es für viele Menschen nicht so ist. Ich glaube, sie haben falsch zu atmen gelernt, als man ihnen während der Schulzeit oder sonst irgendwann sagte, durch tiefes Atmen würde man die Schultern hochziehen.
Holen Sie jetzt tief Luft und beobachten Sie, was mit Ihrem Körper geschieht. Wenn die unteren Rippen und der Bauch sich beim Einatmen ausdehnen, praktizieren Sie die Zwerchfellatmung. Normalerweise ist das ein sehr entspanntes Atmen. Aber wenn Sie feststellen, dass Ihre Schultern sich heben und Magen und untere Rippen sich nicht bewegen, atmen Sie nicht bis zum Zwerchfell. Wahrscheinlich sind Sie dann auch verspannt.
Durch die Zwerchfellatmung können wir sehr viel tiefer atmen und mehr Luft in die Lungen aufnehmen. Außerdem fällt sie uns erheblich leichter als die andere Art der Tiefenatmung, bei der wir nur unsere oberen Lungen benutzen. Die Zwerchfellatmung vergrößert unsere Lungenkapazität und erhöht die Lebensenergie, die wir in uns aufnehmen.
Zwerchfellatmung ist etwas ganz Natürliches, aber manchmal muss man sich erst eine Weile konzentrieren, um Atemtechniken abzulegen, die man sich vielleicht als Kind angewöhnt hat. Wenn Sie also lernen wollen, beim Atmen wieder Ihr Zwerchfell einzusetzen, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit (Ihre Intention) darauf, die Luft ganz tief in die Lunge zu bringen. Anfangs müssen Sie beim Einatmen vielleicht bewusst den Brustkorb und den Bauchbereich ausdehnen. Manchmal hilft es auch, sich auf den Rücken zu legen und die Hand auf dem Bauch zu platzieren. Spüren Sie, wie der Bereich über Ihrem Bauch sich beim Einatmen ausdehnt und die Luft das Zwerchfell füllt. Halten Sie den Atem ein paar Sekunden lang an und spüren Sie, wie der Bereich sich zusammenzieht, wenn Sie die Luft aus Ihrer Lunge entweichen lassen. Denken Sie an Ihre Schultern und achten Sie darauf, dass sie sich nicht mit dem Atem heben und senken. Viele Menschen, die sich an falsche Atemtechniken gewöhnt haben, werden zunächst bewusst die Schultern hochziehen, weil sie meinen, sie brauchten zum Atmen die oberen Lungen. Diese Gewohnheit lässt sich leicht abstellen. Sie werden feststellen, dass es entspannend und einfach ist, bis tief ins Zwerchfell hinunter zu atmen. Sie werden dadurch mehr Luft und folglich auch mehr Energie aufnehmen.

TÖNEN UND OBERTÖNEN

Dieses Kapitel habe ich »Obertönen« und nicht »Tönen« genannt, weil es sich auf die Beziehung zwischen vokalen Obertönen und selbsterzeugten heilenden Klängen konzentriert. Ich habe das Wort »Obertönen« vor ein paar Jahren erfunden, um damit die Technik von Personen zu beschreiben, die ein Tönen praktizieren, bei dem sie sich der Verwendung von Obertönen bewusst sind. Bevor ich das Obertönen kennen lernte, hatte ich das Tönen praktiziert, das ich von meiner Freundin und Lehrerin Sarah Benson erlernte. Sarah lehrte mich eine spezielle Technik, mit der wir uns später in diesem Kapitel noch beschäftigen werden. Dabei wird die Stimme benutzt, um den Körper eines Menschen und sein Energiefeld abzutasten und anschließend Töne in bestimmte Bereiche seines Körpers und dieses Feldes zu schicken. Das war und ist eine außergewöhnlich kraftvolle Technik.
Einige Zeit, nachdem ich diese Art des Tönens kennen gelernt hatte, wurde ich durch den Harmonic Choir mit dem Obertonsingen bekannt gemacht, und wie ich an anderer Stelle bereits berichtete, habe ich daraufhin gelernt, mit meiner Stimme Obertöne hervorzubringen. Nicht lange danach begann ich ein höchst rätselhaftes Phänomen wahrzunehmen. Zum ersten Mal fiel es mir bei einem Workshop über Tönen auf, den ich auf dem Healing Arts Festival in Maine abhielt.
Ich brachte den Teilnehmern dieses Workshops bei, einen anderen Menschen mit der Stimme abzutasten und dann Klänge in ihn hineinzuschicken. Dabei stellte ich fest, dass der Ton sich änderte, wenn der Tönende den richtigen Klang und die richtige Stelle gefunden hatte. Obwohl mir das früher schon aufgefallen war, hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Bei dem Festival erkannte ich plötzlich, dass Obertöne herauskamen, wenn meine Schüler mit dem Klang in Harmonie standen und ihre Stimme in einen anderen schickten! Ich konnte meine Augen schließen oder dem Tönenden den Rücken zuwenden, und doch wusste ich genau, wann der Ton richtig war. Die Klänge änderten sich plötzlich. Ich wurde mir vokaler Obertöne bewusst, die von Menschen hervorgebracht wurden, die diese Obertöne noch nie zuvor gehört hatten.
Ich beobachtete das Phänomen immer wieder. Schon bei meiner eigenen Tönarbeit hatte ich bemerkt, dass bestimmte Obertonfrequenzen auftraten. Aber ich hatte gedacht, es wären für mich typische Klänge, die auf meine Fähigkeit des Obertonsingens zurückzuführen wären. Als ich begann, anderen diese Töntechnik beizubringen, erkannte ich jedoch, dass die Obertöne bei jedem, der sie ausführte, hervortraten und akzentuiert wurden.
Damals begann ich bewusst, vokale Obertöne in Verbindung mit dem Tönen zu lehren, denn wenn bei meinen Schülern ohnehin Obertöne auftraten, unterstützte und verbesserte es ihre Fähigkeit der Klangheilung vielleicht, wenn ich ihnen bewusst bestimmte Techniken zur Obertonerzeugung beibrachte. Ich vergleiche die Stimme in diesem Zusammenhang gern mit einer Schrotflinte, die auf ein Ziel abgefeuert wird. Ein Teil des Schrots wird das Ziel treffen, aber es wird auch sehr viel Energie und Schrot verschwendet. Wenn man beim Tönen bewusst Obertöne einsetzt, wird die Stimme zu einer Art Schall-Laser, der mitten ins Schwarze trifft. Wir können dann bestimmte Frequenzen in einen anderen hineinschicken, wodurch diese Klänge sehr viel wirksamer und zielgenauer werden.

>> http://amraverlag.de/goldman-jonathan-m-10872.html

Hanau: AMRA Verlag, 2008

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"Ich atme ein,
meinen ganzen Körper bewusst wahrnehmend.
Ich atme aus, meinen ganzen Körper bewusst wahrnehmend.
So übt er sich."

Buddha Gautama